Harrold: Endlich die Kolonialgeschichte Hannovers aufarbeiten

  • Veröffentlicht am: 17. März 2023 - 15:47

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Liam Harrold, Sprecher für Kulturpolitik und Antifaschismus / Foto: Sven Brauers

Endlich die Kolonialgeschichte Hannovers und ihre Folgen aufarbeiten

 

Nach einem intensiven Austausch wurde heute der grüninitiierte Antrag „Erarbeitung eines gesamtstädtischen dekolonialisierenden Erinnerungskonzeptes“ im Kulturausschuss beschlossen, der sich dieser Aufgabe breitgefächert annimmt. Von Wirtschaft über Kultur und Bildung bis hin zum Klimaschutz werden zahlreiche Bereiche eingebunden.

 

Liam Harrold, Sprecher für Kulturpolitik der Grünen Ratsfraktion, fasst in seinem Redebeitrag die Schwerpunkte und Ziele zusammen:

 

„Über diesen Antrag freue ich mich besonders, weil er die Aufarbeitung der doppelten Kolonialgeschichte Hannovers und der kolonialen Kontinuitäten heute mal nicht auf Straßenumbenennungen und Denkmäler reduziert. Im Grün-Roten Koalitionsvertrag haben wir uns das Ziel gesetzt “die Erinnerungskultur weiterzuentwickeln und hierbei den Blick über die Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur hinaus zu weiten.” Das heißt im Klartext: Die Kolonialzeit und rechten Terror nach 1945 als neue Fluchtpunkte unserer Erinnerungskultur zu etablieren. Aber auch die Kontinuitäten und Folgen der Kolonialzeit wie Rassismus und deren Sichtbarkeit im Alltag müssen wir konsequent in den Blick nehmen.

 

Das Thema der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ist in Hannover seit Langem halbherzig bis gar nicht angegangen worden. Auch der „Beirat zur wissenschaftlichen Betrachtung von namens-gebenden Persönlichkeiten“ hat 2018 in seinem Abschlussbericht die Bearbeitung des Themas empfohlen. Daran wollen wir anknüpfen.

 

Nach langer Beratung, insbesondere mit den verschiedensten Akteur*innen aus der Stadt-gesellschaft, nehmen wir die vielfachen Debatten der letzten Jahre zum Anlass, ein Konzept von einem interdisziplinär, multiperspektivisch und wissenschaftlich besetzten Beirat erarbeiten zu lassen. Das kann jedoch nur mit der notwendigen Beteiligung der Stadtgesellschaft - nicht zuletzt afro-diasporische Communities und Aktivist*innen - und den richtigen Ressourcen gelingen.

 

Für mich ist klar, das hier kann nur ein erster Schritt sein auf dem langen Weg der Aufarbeitung. Nicht zuletzt die Anhörung im vergangenen Jahr hat uns gezeigt, wie komplex der nie endende Prozess der Dekolonialisierung ist. Fazit dieser Anhörung war, dass es auf die Ressourcenverteilung und Partizipation ankommt. Dekolonialisierung kann kein klassischer Top-Down-Prozess sein. Zudem haben die von uns angehörten Fachleute darin übereingestimmt, dass ein generationsübergreifender Dialog sowie Multiperspektivität zentral seien. Als wichtige Ressource wurde, neben ausreichender Finanzierung und Personal, insbesondere Zeit genannt. Es wird viel Zeit und Geduld in Anspruch nehmen, den von uns vorgeschlagenen Weg zu gehen. Aber er ist richtig und ja, auch überfällig.

 

Dieser Beirat ist ein essentielles Puzzlestück in einer Reihe von notwendigen und denkbaren Maßnahmen. Wir sehen ihn als ein wichtiges Gremium, um Sichtweisen, Erfahrungen und Expertise von Profis und Menschen der Communities (was oft beides gleichzeitig zutrifft) zu bündeln, ein Forum zu geben, zu diskutieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.

 

Ich bin überzeugt, es kann nicht die Aufgabe einer Bevölkerungsgruppe alleine sein, sich um ein so vielschichtiges Thema zu kümmern, das uns alle angeht. Es ist eine demokratische Aufgabe aller, um Hannover auch in diesem Bereich zur diskriminierungsfreien Stadt zu machen.

 

Der angestrebte Prozess berücksichtigt den gesellschaftlichen Kontext. Um die Vielzahl der Akteur*innen einzubeziehen, die sich in Zivilgesellschaft, Institutionen und Politik mit der Aufarbeitung der Kolonialzeit in Hannover beschäftigen, werden verschiedene Beteiligungsformate nötig sein, die zur Auseinandersetzung mit dem Thema aufrufen sowie Partizipation sicherstellen. So soll die Kolonialgeschichte in der Gesellschaft verankert und die historischen und aktuellen gesellschaftlichen Auswirkungen und Bezüge eingeordnet werden.

 

Ich würde mir für die Debatte zudem wünschen, dass wir auch über das Thema Provenienz, die Rolle der Stadtverwaltung in der Kolonialzeit, den hannoverschen Unternehmen als Profiteure und nicht zuletzt um koloniale Kontinuitäten und Rassismus sprechen würden. Denn all diese Aspekte gehören ebenfalls zu dem Aufgabenspektrum des Beirates und dem gesellschaftlichen Lernprozess und sollten nicht isoliert betrachtet werden.

 

Und zuletzt doch noch ein Wunsch in Bezug auf den Umgang mit Straßennamen und Denkmälern: Ich würde es interessant finden, sich dabei nicht nur mit der Frage „so stehen lassen, Infotafel dazu oder weg damit“ zu beschäftigen, sondern eine künstlerische Auseinandersetzung anzustoßen. Hierbei könnte die ganze Stadtgesellschaft in einen kreativen, community- und generationenübergreifenden Dialog auf Augenhöhe treten, voneinander lernen und eine Neufassung erarbeiten. Denn so sehr Straßennamen und Denkmäler Spuren der Geschichte, aber vor allem Spuren vergangener Geschichtspolitik sind, so sehr steht es der gegenwärtigen Stadtgesellschaft zu, eine Neubeurteilung vergangener Ehrungen und Erinnerungen vorzunehmen.

 

Lassen Sie uns gemeinsam diesen wichtigen Schritt gehen.“

 

 

Hintergrund:

Im Kulturausschuss vom Freitag, den 17.03.23 wurde folgender Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD im Rat der Landeshauptstadt beschlossen: „Verantwortung zeigen für die Kolonialgeschichte Hannovers – Erarbeitung eines gesamtstädtischen dekolonialisierenden Erinnerungskonzeptes“, Drucksache Nr. 0227/2023, hier verlinkt.