Vorsitzende der Ratsfraktion Markowis: Rede zur Aktuellen Stunde im Rat am 25.Oktober

  • Veröffentlicht am: 26. Oktober 2018 - 11:42

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Dr. Freya Markowis
Dr. Freya Markowis, Foto: Sven Brauers

Dr. Freya Markowis, Vorsitzende der Ratsfraktion, Rede zur Aktuellen Stunde (beantragt von Die Fraktion) im Rat zum Thema „Ordnung über alles!“, 25.10.2018

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, geschätzte Gäste,

was haben wir in puncto Sicherheit für eine Lage in der Innenstadt? Wir haben am Raschplatz und am Weiße-Kreuz-Platz derzeit ein Hase-und-Igel-Spiel: Am Raschplatz werden ungeliebte Zeitgenoss*innen vom Sicherheitsdienst von HRG und Bahn vertrieben, auf dem Weiße-Kreuz-Platz vom städtischen Sicherheitsdienst. Die Betroffenen – teilweise durch Räumungen ohne Vorwarnung ihrer letzten Habseligkeiten beraubt – finden sich dann zerstreuter woanders ein – oder kurze Zeit später an gleicher Stelle. Auch Parkhäuser klagen derzeit wieder über unerwünschte nächtliche Suchtkranke.

Dazu ein Gedankenspiel: Gesetzt den Fall, alle Menschen in Hannovers Innenstadt wären amerikanische Pfadfinder*innen, dann würde ich mir wünschen, dass sie folgende Abzeichen machen:

  • Erstes Abzeichen „Realität“: Es gibt Menschen, die obdachlos und/oder suchtkrank sind und die „unerwünschtes“ Verhalten an den Tag legen und diese Menschen halten sich gern in zentralen Lagen auf. Dies ist zur Kenntnis zu nehmen.
  • zweites Abzeichen „Empathie“: Trotz des unerwünschten Verhaltens gehören diese Menschen zu den Schwächsten der Schwachen. Niemand kommt ernsthaft auf die Welt und wächst auf mit dem Ziel, am Hannoverschen Hauptbahnhof abzuhängen.
  • Drittes Abzeichen „Nachhaltigkeit“: Werden diese Menschen von einer Stelle vertrieben, tauchen sie trotzdem an anderer Stelle wieder auf. Die Methode „Vertreiben“ ist also kein bisschen nachhaltig, sondern sie erzeugt vielmehr unkontrollierbare Situationen. Wir kennen das aus den 90er Jahren: Bevor nachhaltige Strategien entwickelt wurden, wurden die Suchtkranken damals ebenfalls vom Hbf vertrieben und sind dann in die Wohngebiete abgewandert - dort will man sie aber noch weniger haben.
  • Viertes Abzeichen „Gesamtstrategie“: Wir plädieren für einen größeren Wurf: der Ordnungsdienst – ok! Aber er kann nur ein Baustein sein, um einen Interessensausgleich zwischen Business und Elend herzustellen. Wir sollten wissen, wo wir Suchtkranke und Wohnungslose akzeptieren möchten – im Straßenbild akzeptieren MÜSSEN wir sie. Wir sollten dort Hilfen installieren, z.B. Hygieneangebote, Schließfächer, Sozialarbeit usw. Es muss eine ganz enge Abstimmung zwischen dem Ordnungsdienst und dem sozialen Hilfesystem geben, um echte Gemeinheiten zu vermeiden. Denn: auch unliebsame Menschen sind Menschen und sollten nicht ihrer wenigen Habseligkeiten beraubt werden!

Deswegen fordern wir ein Konzept „Suchtkranke in der Innenstadt“, das diese Komponenten enthält. Die Interessen des neuen Hotels, die Interessen der Geschäftstreibenden sollten berücksichtigt werden, ebenso das Sicherheitsgefühl der Passant*innen. Aber wir können die Schwächsten der Schwachen nicht einfach „wegräumen“ als wären sie Müll. Wir können ihnen auch nicht sagen: „Lebt besser!“ – wäre ihnen das ohne Hilfe möglich, würden sie es zweifelsohne tun. Sie stehen für etwas, für die Tatsache, dass das Leben nicht für alle schön und gemütlich ist. Sie erinnern uns daran, dass es auch andere Leben gibt als solche, die wir alle hier im Ratssaal führen. Vielleicht ängstigen sie uns auch – wir nehmen sie als Bedrohung wahr. Es ist Projektion und Abwehr zugleich, diesen Menschen die alleinige Schuld an ihrem Schicksal zuzuschreiben und sie für vermeintlich falsche Lebensentscheidungen zu bestrafen – so einfach dürfen wir es uns nicht machen und das tun wir auch nicht.

Wir sollten uns weiterhin bemühen, einen Interessensausgleich in der Innenstadt zu vollziehen – nicht nur kurzfristig, sondern kontinuierlich und im ständigen Abwägen der Härten für die einen und für die anderen. Und dafür brauchen wir eben mehr, als einen Ordnungsdienst.