Vögtle: Das komplexe Thema Jugendgewalt verdient nachhaltige Lösungen

  • Veröffentlicht am: 22. Dezember 2023 - 12:42

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Eva Vögtle, Sprecherin für Schul- und Bildungspolitik / Foto: Sven Brauers

Das komplexe Thema Jugendgewalt verdient nachhaltige Lösungen

In die gestrige Ratssitzung brachten die Fraktionen von SPD, CDU und FDP einen Dringlichkeitsantrag zur Situation an der IGS Büssingweg ein. Dieser fordert eine Befragung der Schüler*innen, vermehrte Gewaltpräventionskonzepte sowie eine weitergehende Unterstützung der Schulen.

Eva Vögtle, Sprecherin für Schul- und Bildungspolitik der Grünen Ratsfraktion, erläutert:

„Da die Ursachen von Jugendgewalt so komplex sind, gibt es keine einfachen Antworten und schnelle Lösungen, wenn das Problem nachhaltig angegangen werden soll.

Laut einer repräsentativen Dunkelfeldstudie des Kriminologischen Instituts Niedersachsens zeigt sich, dass statistisch Gewalttaten sinken, extreme Taten jedoch so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass dadurch ein verzerrtes Bild entsteht. Das Besondere dieser Studie ist, dass sie auch jene Taten erfasst, die nie der Polizei bekannt werden; im Gegensatz zu Polizeistatistiken, die nur das sogenannte Hellfeld erfassen. Es sind zusammenfassend nicht die Gewalttaten gestiegen, sondern die Bereitschaft die Taten zur Anzeige zu bringen. Das ist eine gute Nachricht; Gewalt wird nicht mehr so hingenommen wie früher und als Rauferei unter Jungens abgetan. Ein Anlass sich zurückzulehnen, ist das jedoch nicht, jede Gewalttat ist eine zu viel. Prävention muss früh im Leben ansetzen und nicht nur auf extreme Fälle mit Notfallmaßnahmen reagieren.

Es bedarf vor Allem einer konzertierten Aktion aller gesellschaftlich relevanten Akteur*innen, um Schulen wirksam in ihrer Präventionsarbeit zu unterstützen: Wenn der Schulausschuss sich mit dieser wichtigen Frage beschäftigt, muss klar sein: Es gibt keine schnellen Einzelmaßnahmen, die zum Ende aller Vorfälle führen, es ist eine dauerhafte Aufgabe von Schulen, soziale Kompetenzen und das Selbstbewusstsein der Schüler*innen zu fördern, dabei kann und muss unterstützt werden. Aber nicht jede Schule hat die gleichen Probleme und benötigt die gleiche Unterstützung.  

Mein Vorschlag wäre, dass zusätzlich zum Schul- und Jugendhilfeausschuss der kommunale Präventionsrat das Thema aufgreift. Es muss ein starkes Netzwerk entstehen zur Unterstützung vor Ort, Prävention und Intervention gehören dabei zusammen. Expert*innen können unterstützend gehört werden, wichtig ist der differenzierte Blick auf den jeweiligen Einzelfall.

Eine Online-Befragung von Minderjährigen zu so sensiblen und persönlichen Themen wie Gewalterfahrungen, u.a. sexuellen Übergriffe, durchzuführen, halte ich für nicht umsetzbar. Es bedarf dem Einverständnis der Erziehungsberechtigten für eine solche Befragung und es gibt hohe rechtliche Hürden zum Schutz von personenbezogenen sensiblen Daten; insbesondere für Minderjährige.

Gerade da die Elternschaft an der IGS Büssingweg, auch aufgrund von Sprachbarrieren, schwer erreichbar ist, werden viele Erziehungsberechtigte keine Einwilligung zur Teilnahme geben können oder wollen. Es stellen sich daher bei der erwartbar kleinen Fallzahl und geringen Rücklaufquote Probleme der Anonymisierung und Generalisierbarkeit der Ergebnisse dar. Studien, so sie wissenschaftlich sauber und fachgerecht durchgeführt werden, dauern Jahre zu designen, durchzuführen und auszuwerten. Das Land Niedersachsen kann eine solche Umfrage nicht exklusiv für und mit einem Schulträger durchführen; Kommunen dürfen keine Forschungsförderung betreiben.

Betroffene Kinder und Jugendliche müssen aber dringend unmittelbar Hilfsangebote und Unterstützung bekommen, die individuellen Hilfsangebote dürfen nicht erst dann erfolgen, wenn die Ergebnisse einer langen Befragung vorliegen! Und es gilt zu bedenken, was eine nicht-sachgerecht durchgeführte Befragung bei Kindern und Jugendlichen auslösen kann und auch welche Ängste das bei Eltern schüren kann.

Anträge mit solcher Tragweite sollte man vom Ende herdenken und mit Blick auf die Schulgemeinschaft. Lösungen müssen schneller und zielgerichteter erfolgen als das mit dem vorgelegten Antrag möglich sein wird und es gilt eine Stigmatisierung der Schule zu vermeiden.“

 

Hintergrund:

Informationen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN): https://kfn.de/blog/2023/12/ergebnisse-des-niedersachsensurveys-2022-veroeffentlicht/