Grüne antworten Boehringer-Kritikern

  • Veröffentlicht am: 16. September 2009 - 15:31

Antwortschreiben der Grünen Ratsfraktion zur Ansiedlung eines Forschungszentrums für Tierimpfstoffe in Hannover

Sehr geehrte Damen und Herren,

in den letzten Wochen haben uns als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Landeshauptstadt Hannover zahlreiche Schreiben erreicht, die sich kritisch zur Ansiedlung eines Forschungszentrums für Tierimpfstoffe der Unternehmensgruppe Boehringer-Ingelheim in Hannover äußern. Da viele dieser Schreiben wortgleich oder zumindest inhaltlich ähnlich sind, bitte ich Sie um Ihr Verständnis, dass ich Ihnen als zuständiger Bau- und Umweltpolitischer Sprecher sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender namens meiner Fraktion mit einem einheitlichen und ihre Argumente zusammenfassenden Brief antworte.

Zuerst möchte ich mich jedoch ausdrücklich bei Ihnen für Ihre kritischen Meinungsäußerungen zum Ansiedlungsvorhaben der Firma Boehringer bedanken. Denn ich gestehe, die Ansiedlung eines Forschungszentrums für Tierimpfstoffe ist ein Vorhaben, für das es aus meiner Sicht in der Vergangenheit Hannovers nichts Vergleichbares gibt.

Gerade deshalb und vor dem Hintergrund des insbesondere von uns Grünen zu Recht erwarteten besonders sensiblen Umgangs mit einem solchen Ansiedlungsvorhaben hat sich meine Fraktion gemeinsam mit unserer Partei eine fundierte Meinung zu diesem Vorhaben und den daraus resultierenden Vorbehalten aber auch Anregungen und Hinweisen aus der Bevölkerung gebildet.

In einem öffentlichen Hearing am 24. April 2008 haben wir uns die Vorteile, eventuellen Gefahren und Auswirkungen auf Mensch und Umwelt einer solchen Forschungseinrichtung darstellen lassen und sie anschließend ausführlich in unserer Fraktion und in unserer Partei diskutiert und abgewogen. Aus dieser Diskussion heraus haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner der SPD in einem Antrag zum Tierimpfstoffforschungszentrum sowohl Auflagen für die an erster Stelle zu stehende Sicherheit der BürgerInnen der Stadt Hannover, aber auch für die Information der Bevölkerung, den Tierschutz und die umweltgerechte Gestaltung des Geländes und der Anlage beschlossen. Wobei alle in unserem gemeinsamen Antrag beschlossenen Auflagen und Anregungen entweder schon von Boehringer und der Stadtverwaltung erfüllt worden sind oder sich deren Umsetzung in Arbeit befindet.

Aber auch im weiteren Verfahren sind wir jedem Hinweis, der an der Sicherheit der Forschungseinrichtung Zweifel entstehen lassen konnte, nachgegangen und haben uns mit den kritischen Meinungsäußerungen zum Ansiedlungsvorhaben eingehend befasst. Unter all der Kritik an der Ansiedlung der Tierimpfstoffforschungsanlage hat mich insbesondere die grundsätzliche Kritik von Menschen, die jeglichen Fleischkonsum aus innerer Überzeugung ablehnen, auch in ethischer Hinsicht besonders bewegt und mich sehr nachdenklich über unser derzeitiges Konsumverhalten gemacht.

Der Argumentation von all denen, die von uns Grünen eine geradezu reflexartige Ablehnung der Forschungseinrichtung verlangen, weil Impfstoffforschung im Bereich der Tiermedizin ja nur der industriellen Massentierhaltung dienen würde, kann ich hingegen nicht folgen. Wir Grünen lehnen die industrielle Nutztierhaltung nicht nur aus ethischen Gründen ab, sondern auch weil sie erhebliche ökologische Belastungen sowie Risiken für die Tiergesundheit mit sich bringt und negative soziale Auswirkungen im globalen Maßstab hat. Oberstes Ziel ist deshalb für uns eine artgerechte ökologische Tierhaltung - aber auch eine grundsätzliche Veränderung des Konsumverhaltens.

Längere Gespräche und Diskussionen mit Tiermedizinern, die alle ausgewiesene Gegner der Massentierhaltung sind, haben uns gleichwohl darauf hingewiesen, dass zwar einerseits Tierimpfstoffe vor allem in der industriellen Massentierhaltung benötigt werden, da diese besonders stark zu einer Schwächung der Tiergesundheit führt. Das jedoch andererseits auch im Bereich der ökologischen Tierhaltung Impfstoffe zur vorbeugenden Krankheitsbekämpfung benötigt werden. Wir halten daher die Behinderung der Impfstoffforschung für den falschen Hebel, um gegen die Massentierhaltung vorzugehen. Zumal Impfstoffe die Chance bieten, und hier wissen wir uns mit Tierärzten aus der ökologischen Landwirtschaft einig, ohne Rückstandsrisiko die Tiere vorbeugend gegen Erkrankungen zu schützen und so das Leiden der Tiere zu verhindern. Jede therapeutische Maßnahme zur Linderung oder Heilung einer Erkrankung findet dagegen erst dann statt, wenn der Schaden bereits eingetreten ist. Außerdem werden dann häufig Antibiotika eingesetzt, die zur Rückstandproblematik in Lebensmitteln und zur Resistenzentwicklung führen. Der Einsatz von Impfstoffen trägt hingegen dazu bei, den Arzneimitteleinsatz in der Tierhaltung deutlich zu reduzieren. Zudem sind mit Hilfe von Impfungen in Deutschland die Maul- und Klauenseuche, die Schweinepest und die Aujeszky‘sche Krankheit in der Tierhaltung nahezu verschwunden. Für uns ist es daher nicht nachvollziehbar, Tieren den medizinischen Fortschritt vorzuenthalten um so eventuell die Massentierhaltung zu behindern. Stattdessen muss nach unserer Auffassung die artgerechte und ökologische Tierhaltung nachdrücklich gefördert werden, damit die Impfstoffforschung in Zukunft nur noch dieser Tierhaltung zu Gute kommt.

Ein weiteres Argument gegen die Tierimpfstoffforschungseinrichtung ist die Frage nach der Notwendigkeit und ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen. Wir als Partei Bündnis 90/Die Grünen stehen Tierversuchen aus ethischen Gründen sehr kritisch gegenüber. Zumal in den letzten Jahren die Zahl der Tierversuche stark zugenommen hat. Wir fordern daher, dass Tierversuche nur dann durchgeführt werden, wenn diese unumgänglich sind - dies ist aber bei der Erforschung von Tierimpfstoffen zur Zeit leider noch der Fall - und dass alternative, tierversuchsfreie Verfahren entwickelt und stärker als bisher gefördert werden. Aus diesem Grund begrüßen wir die Einrichtung eines Lehrstuhls für alternative Testverfahren an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) und wünschen uns von der Unternehmensgruppe Boehringer Ingelheim ein ähnliches Engagement, z.B. durch die Entwicklung entsprechender Testverfahren oder durch die Förderung entsprechender Forschungsvorhaben.

Der Stadtverband Hannover und die Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen sind der Überzeugung, dass die Ansiedlung eines Tierimpfstoffzentrums nicht nur eine wissenschaftliche Bereicherung der TiHo Hannover ist, sondern auch den Standort Hannover wirtschaftlich stärkt. Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass die Risiken bzw. Auswirkungen nach unserem derzeitigen Wissensstand verantwortbar sind. Dies wird jedoch noch im Detail Gegenstand des von der Gewerbeaufsichtsbehörde betreuten Anlagengenehmigungsverfahrens sein, dass wir als grüne Ratsfraktion kritisch begleiten werden. Der Vertrag über den Verkauf des Grundstückes an die Firma Boehringer steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass es eine rechtskräftige Genehmigung für diese Anlage gibt.

Wir Grünen werden weiter dafür eintreten, dass der weitere Entscheidungsfindungsprozess und das Planungsverfahren so transparent wie möglich gestaltet werden. Hierzu ist es notwendig den moderierten Bürgerdialog mindestens bis zur Inbetriebnahme der Anlage fortzusetzen. Alle Fragen zu Gefahren, Risiken aber auch Chancen der hier geplanten Einrichtung müssen umfassend beantwortet werden und die daraus notwendigen Konsequenzen sind aufzuzeigen.

Mit freundlichen Grüßen

für die Grüne Ratsfraktion

Michael Dette

stellv. Fraktionsvorsitzender

Umwelt- und Baupolitischer Sprecher